Schwierig, schwierig, schon die Hinführung zum Thema. Ausgangspunkt der alten, immer neuen Überlegung, wie ein Fußballprofi wohl aufzutreten habe, und zwar auf dem Platz, nicht betrunken im Ferrari, sei ein Satz des ARD-Kommentators Gerd Gottlob anlässlich der Deklassierung des VfL Wolfsburg durch den FC Bayern im DFB-Pokal, sofern der Pokal noch so heißt (mind you, VW hat gerade andere Probleme): "Thiago ... fast ein bisschen herablassend ... in der Anmutung ... sicherlich nicht so beabsichtigt."
Gottlobs Kommentar bezog sich nicht auf Thiagos zum Heulen schönen Heber auf Robben, der in eine überraschende Lücke an der Strafraumgrenze stieß und Thiagos Vorlage nach gelungener Ballannahme volley in den niedersächsischen Nachthimmel drosch, sondern auf einen vergleichbaren Geniestreich kurze Zeit früher oder später links an der Außenlinie, als er Alaba oder Costa in Szene setzte, man war nur noch mit einem Auge dabei.
"Sicherlich nicht so beabsichtigt" - das genau ist die Frage. Herablassung ist eine ausgesprochen unangenehme Charaktereigenschaft, ohne jeden Zweifel, auf dem Platz wie im Ferrari. Man muss gar nicht von „Geliehenem“ sprechen, man kann von einer Gabe sprechen, von einem Geschenk vielleicht, das in mühsamer und langjähriger Arbeit vergoldet wurde, und dann führt man eben im Pokalspiel beim Titelverteidiger mit ca. 8:0 und hat Freude am Fußball, am schönen Spiel, gleichzeitig merkt man, dass die Sache für den Gegner schon lange gelaufen ist – keine Entschuldigung für Herablassung, allenfalls ein Erklärungsversuch, ein schwacher.
Gottlobs erster Eindruck – da geht einer überheblich zu Werke, herablassend – deckt sich mit der Einschätzung des Chronisten, was diesem immer wieder ein wenig die Freude am Spiel Thiagos verdirbt, nicht aber e. g. die am Spiel Gündogans, der eine vergleichbare Genialität besitzt. Beide stehen immer wieder vor der Frage, die man guten Gewissens als Riquelmefrage bezeichnen kann: Ich bin besser als alle anderen, warum soll ich nicht etwas Besonderes versuchen, warum einfach, wenn es auch schwierig geht? Und genau dafür schauen wir uns schließlich die Spiele der Profis an, um mehr zu sehen als mittwochs beim eigenen Training, schönere Spielzüge, gewagtere Pässe.
Was nun kann ein Thiago machen, um weniger überheblich zu wirken? Sprachlich ist er – in Deutschland – gehandicapt, was ihn der Möglichkeiten eines Thomas Müller beraubt, der immer wieder im Gespräch (und durchaus glaubhaft) die eigene Genialität relativiert, die Flanke Costas sei halt perfekt gekommen, die Hereingabe Alabas habe man verwerten müssen, anders sei das gar nicht möglich gewesen. Kann Thiago seinen Gesichtsausdruck verändern? Nein, das ist die reine Konzentration, und die sieht bei jedem anders aus. Die Körperhaltung, die Beinstellung? Nein, gegen die eigene Physiognomie kann man sich nicht wehren, sie ist ein Produkt von Genetik, Ernährung, früheren Peer Groups und Training. Das Geschlackere mit dem Fuß, mit dem Bein, das dem dann gelegentlich genialen Pass vorausgeht? Ja, darauf könnte er verzichten, was allerdings nicht klug wäre, da ein Teil seines Spiels eben genau darauf beruht, den Gegner im Unwissen darüber zu lassen, wann genau das Abspiel denn nun kommen werde.
Es ehrt Gottlob, dass er durch die vierfache Abschwächung für den Angeklagten entschied: fast ... (es war nicht so, es wäre aber um ein Haar so gewesen), ein bisschen ... (wenn es denn so war, dann nun wirklich nicht viel), in der Anmutung ... (es mag so ausgesehen haben, war aber wohl anders), sicherlich nicht so beabsichtigt ... (okay, wenn es denn so wirkte, dann aus Versehen).
Schwierig, schwierig. Wir werden Thiago weiter beobachten müssen. Es gibt Schlimmeres.
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