Feiertagsgefühl in der S-Bahn, zwischen Hamburg-Poppenbüttel und Othmarschen drei von vier Plätzen frei und kein einziger Mensch in Stadionkluft - wenn das Spiel doch schon gestern war oder der HSV seine Meldung für den Pokal zurückgezogen hat? In Othmarschen dann das übliche, skurrile Bild: Die grauhaarige Omma, die im Edekamarkt in der edel wie nur wassen Waitzstraße noch schnell 50 Gramm Räucherlachs kauft, wird von einer Horde rüpelnder Bayernfans überholt, die allesamt nicht bayrisch sprechen, Bayern und Sankt Pauli haben halt überall Fans.
Auch der Shuttle erschreckend-erfreulich leer - was ist denn los?! 57 000 Menschen sollen kommen, das Spiel geht in einer guten Stunde los, WO SEID IHR ALLE? Beste Stimmung allerdings im Bus, ein HSV-Fan um die 50 plaudert mit einer Bayernfanin um die 40, reißt sich die Mütze vom Kopf, die Brille von der Nase und ruft: "So sehe ich wirklich aus, Glatze und keine Brille!" Gelächter.
Wind und Kälte am Stadion, Blätter torkeln umher. Vor der Südtribüne das erste Bier, angeblich "Vollbier", na, und oben im Beton bereits das zweite, die Planung war anders, es ist Mittwoch. Das erste für vier Euro, das zweite für vierzwanzig, keine halbe Stunde später, das ist mal eine Inflationsrate, Südamerika nichts dagegen.
Unten der sattgrüne Rasen, leuchtend, und wieder das Gefühl, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein. Manuel Neuer läuft sich im Takt zu Scooter warm, schwierig, doch er schafft es. Wieder wirkt er fleischig, live, mit fünfzig könnte er hundertfünfzig wiegen. Neuer wird warm geschossen, doch wann spielt denn mal Starke, wenn nicht heute?
Und da kommt auch schon Dante, gefolgt von Thiago, Dante wie immer unter Strom, Thiago nicht, nicht sichtbar. Sie passen einander den Ball in den Fuß, erst hart, dann härter, sie pflücken Bogenlampen wie reife Früchte, sie spielen mit dem Schienbein einen auf hoch. Jungs, die die Zeit vergessen. "Miracoli ist fertig!" Hamburg, meine Perle, von Lotto auf München umgetextet, Stadt für Stadt, immerhin. Pape alt inzwischen. Auf der Nordtribüne fette Transparente, Rebiger weiß mehr darüber. Bremer Stimmung fast, wenn man das in Hamburg sagen dürfte.
Dann wird gespielt. 120 Prozent Ballbesitz für die Gäste aus Barcelona, Tom auf halbrechts fühlt sich an das Erstrundenspiel des Lüneburger SK gegen den damals sehr guten VfB Stuttgart erinnert, mit Gomez seinerzeit (früherer deutscher Nationalspieler mit spanischen Wurzeln, Anm. d. Red.). Pape sei Lüneburger, sagt er. Es ist kein Klassenunterschied, es sind Galaxien, die zwischen dem FC Bayern und dem HSV liegen, dessen Mannschaft natürlich auch mit erstklassigen Profis gespickt ist, aber da ist eben die Sache mit dem Antilauf. Es ist schön, den Bayern zuzusehen. Doch warum spielt Starke nicht, nicht mal eine Halbzeit? Robbens Ballannahme mit der Brust, vor dem Dreinull, das ist Körpersprache: "Lass mich den Ball annehmen und ich mache ihn rein, foul mich und ich werde den Elfmeter selbst schießen, Ribéry ist nicht da und Guardiola interessiert mich nicht."
"Fischmäßig hätt ich noch Hummer da", sagt der Fischbudenbetreiber in Hamburg-Othmarschen*. Doch es ist spät. Es ist Mittwoch. Die Lichter gehen aus.
Gerald W.
* ... bzw. hätte ein Fischmann in Hamburg-Othmarschen sagen können. In Wahrheit natürlich, ihr habt's bemerkt, ein Zitat aus Roger Willemsens "Momentum" (Fischer, TB, Seite 157)