Der Besitz einer Dauerkarte gilt als letztinstanzlicher Ausweis des Fanseins. Dabei ist es ohne Dauerkarte viel schöner.
Nehmen wir das gestrige 3:4 des FC St. Pauli, das der Unterzeichner in Vertretung und in Abwesenheit von Arne besuchte, seines Zeichens Besitzer einer Dauerkarte auf Lebenszeit, die ihn vor einigen Jahren, als es dem FC mal wieder richtig dreckig ging, als Ulrich H. seine Wampe ins braune Retter-Shirt presste wie sonst Schweinegeschreddertes in Naturdarm (oder war das früher, oder später? Es ging dem FC St. Pauli so oft so schlecht.), 1.910,00 Euro gekostet haben dürfte.
Der lila eingefärbte Abendhimmel über dem Hafen, das grelle, nie blendende Flutlicht, die lauten Glockenschläge, mit denen "Hells Bells" beginnt, der mit 5 Euro pro Flasche grotesk überteuerte Sommersby-Cider, der in einen Hartplastikbecher umgefüllt wird, auf dem sich ein Foto von André Schubert befindet, die entspannte Aufgeregtheit in den Gängen hinter der Tribüne, der heilige Ernst, mit dem die Männer (fast nur Männer) ihren vollen Bierbecher zum Mund führen, in Vorabkonzentration auf das in fünf Minuten beginnende Spiel, in Gedanken wenden sich diese Männer vor dem Herauslaufen noch einmal an die Mannschaft, die in der Kabine vor ihnen sitzt, dann die beiden Teams, das des FC und das des SC Paderborn, vor dem Ewald Lienen zu Recht gewarnt hatte, wie sich zeigen sollte, die Ratschesuche, die Frage, ob er diesmal größer sein wird als sein Einlaufkind, der Gedanke, dass ein beim FC Barcelona spielender Ratsche innert weniger Wochen ein Mann für Löw wäre, die Eiseskälte, der Elfer Sobiechs, der vom hinteren Ende der Gegengerade zunächst aussah, als würde er weit über das Tor gehen, dann aber doch millimetergenau in den Torwinkel passte, der über den Abend immerhin dreimal angespielte "Song 2" von Blur, die fast klinisch reinen, schönen, vollkommen lautlosen Tore des SC Paderborn, Tore der Auswärtsmannschaft fallen immer gespenstisch leise, werden die Pässe, die zum Tor führen, doch nie von den kollektiven Aaaahs und Oooohs des großen Publikums begleitet, der schöne Name Hartherz, den man seit Werderzeiten nicht mehr gehört hatte ...
Will man das alles wirklich im Zweiwochenrhythmus haben, in dem die Erinnerung an ein solches Spektakel über- und überlagert wird von einem unsäglichen Nullnullgewürge, von einem mühsam ermauerten 1:0? Nein, dafür ist die Erinnerung zu kostbar, dafür ist das Vergessen zu wichtig, das erst ein neuerliches Erleben möglich macht. Nur fallen leider in den wenigsten Spielen sieben Tore - und Ratsche ist auch bald weg.
Gerald W.