12. Juli 2012

Korrupt – zum Wohle des Fußballs und der Jugend?


Thomas Kistner legt mit FIFA MAFIA einen veritablen Wirtschaftskrimi vor – und nichts davon ist erfunden


Ich gestehe es gleich: ich habe Thomas Kistners Buch FIFA MAFIA noch nicht zu Ende gelesen. Es geht langsam, denn nur häppchenweise lässt sich verdauen, was der bekannte SZ- Journalist auf über 400 Seiten ausbreitet: nach spätestens dreißig gelesenen Seiten dröhnt einem der Kopf vor lauter merkwürdigen Beziehungen, unlauteren Verflechtungen, haarsträubenden Aktionen und halsbrecherischen Transaktionen, vor Zahlen, Zahlen und nochmals Zahlen – in erster Linie Unsummen Geldes, die von den Spitzenvertretern des Weltfußballs verantwortet werden. Um es mal so auszudrücken.

Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball will Kistner offen legen. Eine Sisyphosarbeit, handelt es sich doch um ein fast undurchschaubares Geflecht wirtschaftlicher und finanzieller Verstrickungen, die ein Laie nur mit Mühe verstehen und nachvollziehen kann. Die schmutzigen Geschäfte des Weltfußballs, das sind vor allem die schmutzigen Geschäfte der FIFA-Funktionäre und die ihnen angeschlossenen Firmen. Aberwitziges Finanzgebaren dokumentiert Kistner, vor allem aber und immer wieder hängt alles ab vom Großen Vorsitzenden und Vorbild für die Jugend – und seinen ihm unter- wie ergebenen Funktionären. Welche miteinander die FIFA in den letzten Jahrzehnten zum Großen Selbstbedienungsladen umfunktioniert haben.

Nur ein Beispiel von vielen für gelinde gesagt merkwürdiges Geschäftsgebaren: Ricardo Teixeira, Chef des brasilianischen Verbands, kommt mit 400 000 Dollar in bar zur Fifa und möchte, dass die das Geld dem Nationalverband CBF überweist – Teixeiras Verband, wohlgemerkt. Deklariert haben will er das als Vorauszahlung für die WM 1998. Bei der Fifa ist dieser Betrag tatsächlich ausbezahlt worden, jedoch gab es keinen Zahlungseingang beim CBF. Pikant, dass zu dieser Zeit in Brasilien zwei Ausschüsse gegen Teixeira und den CBF ermitteln. Die Fifa stimmt zu unter der Bedingung, dass Teixeira das Geld verbucht und danach an den Verband überweist. Damit ist der allerdings ganz und gar nicht einverstanden: das Geld hätte ja längst beim Verband angekommen sein müssen.

Seine neue Idee: Scheck für Bares. Den würde er von der Fifa bekommen, die Summe würde jedoch dem CBF-Konto belastet werden. Das Ende vom garstig’ Lied: Teixeira storniert die Sache und holt sein Bargeld wieder ab. Finanzprüfer empfehlen daraufhin der Fifa: „... dass Zahlungen möglichst an die effektiv Berechtigten zu richten sind.“ Kistner fragt zu Recht an dieser Stelle hämisch nach: Na, an wen denn sonst?

Selbstbedienung gilt auch für den Vorsitzenden: Joseph Blatter sitzt auf einem Etat, der so manchen Finanzminister vor Neid erblassen lassen dürfte. Auch wenn er sein Salär mit einer Million und, wie er hinzufügt, „vielleicht ein wenig mehr“ angibt – das Empfinden darüber, wie viel „ein wenig“ ist, dürfte je nach Kontostand krass unterschiedlich sein. Schwindel ergreift einen, wenn man liest, dass im Jahr 2002 im Fifa-Budget unter der Rubrik „Präsidentenbüro (Gesamtverantwortlicher: P)“ die abenteuerliche Summe von 9 667 000 Schweizer Franken aufgeführt wird; darunter 300 000 Franken für „präsidiale Schenkungen“ oder 200 000 für „spezielle präsidiale Projekte“. Ein Schelm, wer Arges dahinter vermutet...

Buchseite für Buchseite kann man nur den Kopf schütteln: Wie ist es möglich, dass ein eingetragener Verein, eine Non-Profit-Organisation eine Mischung aus größenwahnsinnigem Diktator, geldgierigem Finanzzocker und nepotistischem Sonnenkönig mit päpstlichem Unfehlbarkeitsanspruch zum Präsidenten hat – dieser Eindruck verfestigt sich bei der Lektüre von Kistners Buch schon nach wenigen Seiten. „Dieser Mann darf im Alleingang Finanzgeschäfte des Milliardenbetriebs abzeichnen, und das seit 1998.“ – dabei wird der Fußball-Gemeinde, die all dies direkt oder indirekt bezahlt, gebetsmühlenartig eingeredet, man tue dies einzig und allein zum Wohle des Fußballs. Gott Fußball herrscht über die Welt, und nachdem Monsignore Blatter häufig schon betont hat, dass der Fußball eine weitaus größere Reichweite habe als die Kirche, bedeutet dies nichts anderes, als dass es keinen anderen Gott neben ihm geben dürfen soll.

Irgendwann wundert es einen auch nicht mehr, wenn diesem Ziel – der Mehrung des göttlichen (und damit finanziellen) Ansehens – auch Spiele zum Opfer fallen. Am 25.8.2002 erhebt kurz nach Ende der Asien-WM die italienische Staatsanwaltschaft Anklage: Der WM-Schiedsrichter Byron Moreno soll auf Anweisung absichtlich Italien aus dem Turnier gepfiffen haben (Südkorea gewann mit 2:1). Sinn und Zweck: Südkoreas Verbandschef Chung Mong-joon hatte die Absicht, Staatspräsident zu werden. Man kann jetzt eins und eins zusammenzählen, plus die Tatsache, dass der Schiri aus Ecuador durch plötzlichen luxuriösen Lebensstil auffiel, und wird auch noch das letzte Quäntchen naiven Glaubens fahren lassen müssen.

Teil des Problems, so man es als solches wahrnimmt: Sponsoren. Opportunistisch bis zum letzten Gebot, agiert diese Werbebande „in einem Geschäft aus Schmutz und Träumen“ (Kistner), bekriegt sich gegenseitig wie im Falle VISA und MasterCard, bis dass vielleicht einmal der ein oder andere Kunde erkennt, dass er für dumm verkauft wird und diese oder jene Marke ignoriert oder gar sozialnetzwerkerisch öffentlich brandmarkt. Bis dass Firmen erkennen, dass ihre Verbindung zur Fifa durchaus Langzeitschäden nach sich ziehen kann, wird allerdings noch die ein oder andere Million in die Schweiz transferiert werden.

Wie gesagt, ich bin noch nicht durch. Aber vielleicht muss man Kistners Opus auch gar nicht bis zum Ende lesen – schon vorher wird man angewidert abgefallen sein vom Glauben an zumindest einen Rest Gutes, das in jenem Verband stecken könnte, jenem Verband, der sich zum Ziel gesetzt hat: Das Spiel entwickeln, die Welt berühren und eine bessere Zukunft gestalten“. Diesem FIFA-Fußball ist nicht mehr zu vertrauen, nicht unter der jetzigen Führungsriege von Profiteuren, Hasardeuren, Vettern und Günstlingen und ihrem In-die-eigene-Tasche-Wirtschaften. Das haben auch andere Vereinsmeier und Verbandschefs durchaus erkannt; Karl-Heinz Rummenigges Vergleich Blatters mit einem schwer zu fassenden Aal deutet darauf hin. Jedoch: den Ungeist, den auch die Beckenbauers, Zwanzigers, Mayer-Vorfelders etc. riefen, werden sie so schnell nicht mehr los.

Selbst wenn nur die Hälfte dessen, was Kistner recherchiert, offenlegt und insinuiert sich als richtig erweist, dürfte das für jeden Fußballfan genügen, um zu sagen: NO MORE! Solange jedoch die Mehrheit der Fifamilienmitglieder prächtig vom Global Multiplayer FIFA™ profitiert und prosperiert, die Turniere auf diesem Planeten weiterhin von Millionen frequentiert und bezahlt werden, wird dieser Präsident unbehelligt sonnenköniglich weiterregieren dürfen. Dass die Fans, die das allerkleinste Rädchen in dieser Geldbeschaffungsmaschine drehen, daran etwa durch Boykott etwas ändern können, ja überhaupt ändern wollen, ist zu bezweifeln: Man/Fan fühlt sich alle zwei Jahre ja prächtig entertaint, siehe Public Screening, public screaming, Fahnengeschwenke mit und ohne promilligem Saurauslassen und staatlich erlaubtem bzw. gefördertem Nationalismus.

Kistners Buch ist der Versuch einer Annäherung an den FIFA-Komplex; der bislang beste, den es gibt. Wenn es nur irgend möglich wäre, sollte allen Fußball-Funktionären ein Exemplar auf den Nachttisch gelegt werden – zur Zwangslektüre, auf dass vielleicht doch noch die Hoffnung darauf sich erfüllt, dass der Fußball nicht mehr die lukrativste Haupt-, sondern wieder die sportlichste Nebensache der Welt wird. Und Kistner sieht gute Chancen auf „jede Menge Hoffnung: dass eine der vielen Minen hochgehen wird im Monopolbetrieb Fifa“. Wir hoffen mit ihm. Und danken ihm derweil dafür, selbst am Minenlegen so offensiv sich beteiligt zu haben.

Thomas Kistner: FIFA MAFIA – Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball. München: Droemer Verlag, 2012. Euro 19,99