30. Mai 2021

 

Sieger und Verlierer: Ein paar Anmerkungen zum Champions-League-Finale

Das Champions-League-Finale 2021 ist Geschichte, und damit auch das mit Spannung erwartete Trainerduell der beiden Herren, denen das Verdienst zukommt, den Salzstreuer in den Fußballdiskurs eingebracht zu haben.

And the loser is: Pep Guardiola, der damit unweigerlich eine weitere Debatte darum am Hals hat, was er denn diesmal wohl wieder falsch gemacht hat. Eine Debatte, die spätestens in dem Moment ihren Ausgang nahm, als die Aufstellung von Manchester City bekannt wurde. Kein defensiver Mittelfeldspieler und vorne Raheem Sterling, dem wohl keiner in dieser Saison Leistungen bescheinigt hätte, die ihn zum Kandidaten für einen Platz in der ersten Elf gemacht hätten. Die Idee hinter der extrem offensiven Ausrichtung war vermutlich, Chelsea von Anfang in die Defensive zu drängen, um mit einem frühen Tor klare Verhältnisse zu schaffen und Chelsea in Zugzwang zu bringen.

Es kam ganz anders. Allein Timo Werner hatte in den ersten zehn Minuten zweimal die große Chance, seine Mannschaft in Führung zu bringen; mindestens einmal hätte er treffen müssen. Die einzige Andeutung einer Chelsea-Chance vereitelte Antonio Rüdiger mit einer gelungenen Grätsche; Chelsea-Keeper Edouard Mendy verbrachte insgesamt einen ruhigen Abend. Und dann die 42. Minute: Mason Mount sieht ein großes Loch in der Mitte, schickt einen vorzüglich temperierten Pass genau durch dieses Loch auf Kai Havertz, der kommt an Ederson vorbei und schiebt unbedrängt ein. (Und wäre ihm dies nicht gelungen, so hätte Ederson die Rote Karte sehen müssen, denn er berührte außerhalb des Strafraums den Ball mit der Hand.) Dass Mount diesen Pass spielen konnte, verdankte sich auch einem Lauf von Timo Werner, der geschickt einen Verteidiger aus der Mitte zog. Vor allem aber hätte in dem freien Raum bei einer "normalen" City-Aufstellung mit großer Wahrscheinlichkeit ein defensiver Mittelfeldspieler gestanden und die Lücke geschlossen. In der zweiten Hälfte lief es etwas besser für City, doch es gelang der Mannschaft zu keinem Zeitpunkt, ihr volles, nun wirklich nicht geringes Potenzial auf den Platz zu bringen. Und zum Schluss musste man es dann sogar – auch dies vergeblich – ganz un-Pep-like mit der Brechstange versuchen.

Okay, Pep Guardiola hat sich was ausgedacht, hat nicht funktioniert, so was kommt vor; könnte man sagen und es dabei belassen. Wenn es denn das erste Mal gewesen wäre, dass eine Guardiola-Mannschaft in entscheidenden Spielen nicht ihre beste Leistung zeigt und dabei, allem Anschein nach, das taktische Konzept eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hat. Wenn dies in derartiger Form zu einem Muster wird, dann darf und sollte es auch hinterfragt werden. Sicherlich haben in den vergangenen Jahren beim Scheitern von Guardiolas Teams in der Champions League immer auch andere Dinge eine Rolle gespielt: horrende Fehlleistungen von Spielern, unglückliche Schiedsrichterentscheidungen und was immer sonst. Doch es bricht dem Fußballfreund das Herz, wenn man sieht, wie ein brillanter Spieler wie Kevin De Bruyne durch taktische Vorgaben darum gebracht wird, seine überragenden Fähigkeiten zur Geltung zu bringen, gestern z.B. ebenso wie Ilkay Gündogan auf einer meines Erachtens falschen Position. Klassisches Beispiel das Ausscheiden in der Vorsaison gegen Olympique Lyon, als Guardiola gegen einen eindeutig inferioren Gegner ein Taktik wählte, mit der seine Mannschaft kaum vertraut war, anstatt auf die Stärken der Mannschaft zu setzen. Woher dieses Misstrauen gegen das eigene Team?

Gestern abend gab es keine Ausreden. Fehlleistungen des Schiedsrichters waren nicht zu konstatieren; Torchancen wurden nicht leichtfertig vergeben (man hatte ja gar keine, ein Schuss auf das Tor, alleine diese Statistik spricht Bände); von mangelndem Spielglück, wie das heute wohl heißt, kann auch nicht die Rede sein; Chelsea war schlichtweg besser. Unglücklich natürlich das Ausscheiden von Kevin De Bruyne nach einem überzogenen Einsatz von Antonio Rüdiger, aber De Bruyne war bis dahin kaum zu Geltung gekommen, und der überragende N'Golo Kanté hätte das wohl auch im weiteren Spielverlauf nicht zugelassen.

To call a spade a spade, wie der Engländer es formulieren würde: Pep Guardiolas Champions-League-Bilanz, seitdem er den FC Barcelona verlassen hat, ist insgesamt erbärmlich. Er hat in München den Titelverteidiger übernommen und ist dreimal im Halbfinale gegen spanische Teams ausgeschieden. Das ist nicht natürlich keineswegs erbärmlich, aber im einen oder anderen Jahr wäre wohl auch mehr drin gewesen. In Manchester hat er inzwischen fünf Jahre Zeit und vor allem unermesslich viel Geld zur Verfügung, eine Mannschaft zusammenzustellen, die in der Königsklasse reüssieren kann, und da ist es dann schon dürftig, erst im fünften Jahr erstmals über das Viertelfinale hinauszukommen.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Selbstverständlich ist Pep Guardiola ein hervorragender Trainer – nie hat eine Vereinsmannschaft besseren Fußball gespielt, als die von ihm betreute des FC Barcelona in der Saison 2010/11. Manchester City hat 2020/21 eine überragende Premier-League-Saison gespielt, insgesamt in den letzten vier Jahren dreimal den Meistertitel geholt; das viele Geld war also nicht total verschwendet. Aber du kannst z.B. in der NBA in der regulären Saison 65 von 82 Spielen gewinnen, wenn du aber dann in den Play-Offs in der zweiten Runde ausscheidest, ist das wenig wert; es gilt, dann zur Stelle sein, wenn es darauf ankommt. Der Vergleich mag ein wenig schief sein, weil wir es im Fußball mit zwei verschiedenen Wettbewerben zu tun haben, aber Manchester City unter Pep Guardiola scheint in der Tat keine Play-Off-Mannschaft zu sein. Wenn wir uns dennoch vor dem großen Trainer Guardiola verneigen, sollten wir aber vielleicht auch im Hinterkopf behalten, dass dieser Mann sich für eine angeblich zweistellige Millionensumme als eine Art Markenbotschafter für das Emirat Katar prostituiert und dabei Sklaverei und Folter zumindest implizit gutheißt. (Bernd-M. Beyer und Dietrich Schulze-Marmeling bringen es in ihrem Katar-Buch auf den Punkte: "Der Mann, der sein katalanisches Volk von Madrid geknechtet sieht, sagte allen Ernstes: 'Katar ist ein demokratisches Land, sonst hätte es die WM nicht bekommen.'")

Katar ist das Stichwort, um klarzustellen, dass ich mich jedes Jahr aufs Neue freue, wenn City in der Champions League nichts reißt, nicht wegen Pep, sondern wegen der Eigentümerschaft. (Und wäre es dem Verein nicht erlaubt gewesen, zwei der drei Richter im CAS-Verfahren selbst auszusuchen, so wäre man in dieser Saison wegen der von der UEFA eigentlich mit Ausschluss bestrafen Verstöße gegen das Financial Fairplay in der Champions League gar nicht dabei gewesen.) Der diesjährige Wettbewerb hat es einem ja ohnehin schwer gemacht, mit vier Halbfinalisten, die man dort allesamt nicht sehen möchte: PSG aus gleichen Gründen wie Manchester City (wobei die Halbfinalqualifikation von PSG auch aus rein sportlicher Sicht ein Witz war); Chelsea, weil der Verein einem russischen Oligarchen gehört, den manche für einen Gangster halten; Real Madrid, weil Florentino Pérez auch nicht wirklich ein Sympathieträger ist und man als Verehrer des Cruyff'schen FC Barcelona und überzeugter Republikaner es ohne nicht mit den Königlichen halten kann (wobei es mit der Zuneigung zu den Katalanen auch schon mal leichter war).

Doch auch wenn man Chelsea eigentlich auch nicht ausstehen kann, scheint es angebracht, an dieser Stelle Thomas Tuchel zu loben, der in einem halben Jahr an der Stamford Bridge Bemerkenswertes vollbracht hat. Er übernahm ein völlig verunsichertes Team, das auf Rang 9 der Premier League vor sich hin dümpelte, und führte es – das war der Auftrag – als Tabellenvierter in die Champions League. (Wobei man am letzten Spieltag zugegebenermaßen auf Schützenhilfe der Spurs angewiesen war, andererseits mit einem eigenen Sieg aber auch mit dem 3. Platz hätte abschließen können.) Nun auch als Titelverteidiger für die Königsklasse qualifiziert zu sein, darf als zusätzlicher und völlig unerwarteter Bonus gelten. Und während Guardiola sich sowohl bei Bayern wie auch Manchester City quasi ins gemachte Nest setzen konnte, musste Tuchel in kürzester Zeit mit einer Mannschaft zurechtkommen, auf deren Zusammenstellung er keinerlei Einfluss hatte. Offenkundig hat er sich den Kader genau angeschaut, ein umfassendes und wohlüberlegtes Reset vorgenommen und auf diese Weise verschüttetes Potenzial zur Wirkung gebracht. (Ich habe noch am Abend nach dem Spiel die Berichterstattung des englischen Guardian gelesen und mir auch einige der Kommentare zu den Artikeln angeschaut. Dort danken zahlreiche Chelsea-Fans Frank Lampard, Tuchels Vorgänger, der die Grundlage für diesen Erfolg gelegt habe. Ich glaube, da lässt man dem guten Mann zuviel der Ehre zukommen.) Der Fußball, den Chelsea unter Tuchel spielt, ist selten aufregend, aber man erkennt ein klares Konzept, welches gewinnbringend umgesetzt wird. Und das Team hat einige hervorragende Einzelspieler (unter denen auch Timo Werner sein könnte, wenn es ihm endlich wieder gelingen würde, vor dem Tor die eigenen Beine zu sortieren). Natürlich darf man darauf hinweisen, dass Chelsea im vergangenen Sommer mehr Geld für Spieler ausgab, als jeder andere Verein. Dies relativiert sich allerdings insofern, als der Club zuvor in drei Transferperioden nicht tätig werden konnte, da er von der FIFA mit einem Bann wegen Verstößen gegen die Transferregularien belegt worden war, und deshalb in jenem Sommer größere Mittel zur Verfügung hatte, die zuvor nicht ausgegeben werden konnten. In dieser Zeit hat Lampard sicher einige Nachwuchsspieler vorangebracht; aber Grundlagen gelegt? Die Kaltstellung von Antonio Rüdiger z.B. war ein schwerer Fehler; mit dessen Wiederbelebung dürfte Tuchel Joachim Löw einen großen Gefallen getan haben. Ich bin gespannt auf die Innenverteidigung Rüdiger-Hummels bei der EM. Es wird große Leistungen brauchen, um ein von N'Golo Kanté angetriebenes Frankreich im Zaum zu halten.

Bleibt abzuwarten, ob Thomas Tuchel sein Werk bei Chelsea wird weiterführen dürfen. Der bisher einzige Champions-League-Gewinn des Clubs wurde ja 2012 mit der umgehenden Entlassung des Trainers gewürdigt.

Und zu guter Letzt müssen wir natürlich noch einmal auf Kai Havertz zurückkommen, der sich mit einer sehr gutem Leistung und dem Siegtreffer bei den Fans der Blues zur Legende gemacht haben dürfte. Legenden haben es ja mitunter schwer; hoffen wir also, dass er nicht in einigen Jahren nach Eindhoven wechseln muss, um die Karriere wieder in die Spur zu bringen.

Und nächstes Jahr? Wie wär's mit einem Finale zwischen Ajax Amsterdam und Borussia Dortmund?