Thomas Kistner legt mit FIFA MAFIA einen veritablen
Wirtschaftskrimi vor – und nichts davon ist erfunden
Ich gestehe es gleich: ich habe Thomas Kistners Buch FIFA MAFIA
noch nicht zu Ende gelesen. Es geht langsam, denn nur häppchenweise lässt sich
verdauen, was der bekannte SZ- Journalist auf über 400 Seiten ausbreitet: nach
spätestens dreißig gelesenen Seiten dröhnt einem der Kopf vor lauter
merkwürdigen Beziehungen, unlauteren Verflechtungen, haarsträubenden Aktionen
und halsbrecherischen Transaktionen, vor Zahlen, Zahlen und nochmals Zahlen –
in erster Linie Unsummen Geldes, die von den Spitzenvertretern des Weltfußballs
verantwortet werden. Um es mal so auszudrücken.
Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball will Kistner
offen legen. Eine Sisyphosarbeit, handelt es sich doch um ein fast
undurchschaubares Geflecht wirtschaftlicher und finanzieller Verstrickungen,
die ein Laie nur mit Mühe verstehen und nachvollziehen kann. Die schmutzigen
Geschäfte des Weltfußballs, das sind vor allem die schmutzigen Geschäfte der
FIFA-Funktionäre und die ihnen angeschlossenen Firmen. Aberwitziges
Finanzgebaren dokumentiert Kistner, vor allem aber und immer wieder hängt alles
ab vom Großen Vorsitzenden und Vorbild für die Jugend – und seinen ihm unter-
wie ergebenen Funktionären. Welche miteinander die FIFA in den letzten
Jahrzehnten zum Großen Selbstbedienungsladen umfunktioniert haben.
Nur ein Beispiel von vielen für gelinde gesagt merkwürdiges
Geschäftsgebaren: Ricardo Teixeira, Chef des brasilianischen Verbands, kommt
mit 400 000 Dollar in bar zur Fifa und möchte, dass die das Geld dem
Nationalverband CBF überweist – Teixeiras Verband, wohlgemerkt. Deklariert
haben will er das als Vorauszahlung für die WM 1998. Bei der Fifa ist dieser
Betrag tatsächlich ausbezahlt worden, jedoch gab es keinen Zahlungseingang beim
CBF. Pikant, dass zu dieser Zeit in Brasilien zwei Ausschüsse gegen Teixeira
und den CBF ermitteln. Die Fifa stimmt zu unter der Bedingung, dass Teixeira
das Geld verbucht und danach an den Verband überweist. Damit ist der allerdings
ganz und gar nicht einverstanden: das Geld hätte ja längst beim Verband
angekommen sein müssen.
Seine neue Idee: Scheck für Bares. Den würde er von der Fifa
bekommen, die Summe würde jedoch dem CBF-Konto belastet werden. Das Ende vom
garstig’ Lied: Teixeira storniert die Sache und holt sein Bargeld wieder ab.
Finanzprüfer empfehlen daraufhin der Fifa: „... dass Zahlungen möglichst an die
effektiv Berechtigten zu richten sind.“ Kistner fragt zu Recht an dieser Stelle
hämisch nach: Na, an wen denn sonst?
Selbstbedienung gilt auch für den Vorsitzenden: Joseph
Blatter sitzt auf einem Etat, der so manchen Finanzminister vor Neid erblassen
lassen dürfte. Auch wenn er sein Salär mit einer Million und, wie er hinzufügt,
„vielleicht ein wenig mehr“ angibt – das Empfinden darüber, wie viel „ein
wenig“ ist, dürfte je nach Kontostand krass unterschiedlich sein. Schwindel
ergreift einen, wenn man liest, dass im Jahr 2002 im Fifa-Budget unter der
Rubrik „Präsidentenbüro (Gesamtverantwortlicher: P)“ die abenteuerliche Summe
von 9 667 000 Schweizer Franken aufgeführt wird; darunter 300 000 Franken für
„präsidiale Schenkungen“ oder 200 000 für „spezielle präsidiale Projekte“. Ein
Schelm, wer Arges dahinter vermutet...
Buchseite für Buchseite kann man nur den Kopf schütteln: Wie
ist es möglich, dass ein eingetragener Verein, eine Non-Profit-Organisation
eine Mischung aus größenwahnsinnigem Diktator, geldgierigem Finanzzocker und
nepotistischem Sonnenkönig mit päpstlichem Unfehlbarkeitsanspruch zum
Präsidenten hat – dieser Eindruck verfestigt sich bei der Lektüre von Kistners
Buch schon nach wenigen Seiten. „Dieser Mann darf im Alleingang Finanzgeschäfte
des Milliardenbetriebs abzeichnen, und das seit 1998.“ – dabei wird der
Fußball-Gemeinde, die all dies direkt oder indirekt bezahlt, gebetsmühlenartig
eingeredet, man tue dies einzig und allein zum Wohle des Fußballs. Gott Fußball
herrscht über die Welt, und nachdem Monsignore Blatter häufig schon betont hat,
dass der Fußball eine weitaus größere Reichweite habe als die Kirche, bedeutet
dies nichts anderes, als dass es keinen anderen Gott neben ihm geben dürfen
soll.
Irgendwann wundert es einen auch nicht mehr, wenn diesem
Ziel – der Mehrung des göttlichen (und damit finanziellen) Ansehens – auch
Spiele zum Opfer fallen. Am 25.8.2002 erhebt kurz nach Ende der Asien-WM die
italienische Staatsanwaltschaft Anklage: Der WM-Schiedsrichter Byron Moreno
soll auf Anweisung absichtlich Italien aus dem Turnier gepfiffen haben
(Südkorea gewann mit 2:1). Sinn und Zweck: Südkoreas Verbandschef Chung
Mong-joon hatte die Absicht, Staatspräsident zu werden. Man kann jetzt eins und
eins zusammenzählen, plus die Tatsache, dass der Schiri aus Ecuador durch
plötzlichen luxuriösen Lebensstil auffiel, und wird auch noch das letzte
Quäntchen naiven Glaubens fahren lassen müssen.
Teil des Problems, so man es als solches wahrnimmt:
Sponsoren. Opportunistisch bis zum letzten Gebot, agiert diese Werbebande „in
einem Geschäft aus Schmutz und Träumen“ (Kistner), bekriegt sich gegenseitig
wie im Falle VISA und MasterCard, bis dass vielleicht einmal der ein oder
andere Kunde erkennt, dass er für dumm verkauft wird und diese oder jene Marke ignoriert
oder gar sozialnetzwerkerisch öffentlich brandmarkt. Bis dass Firmen erkennen,
dass ihre Verbindung zur Fifa durchaus Langzeitschäden nach sich ziehen kann,
wird allerdings noch die ein oder andere Million in die Schweiz transferiert
werden.
Wie gesagt, ich bin noch nicht durch. Aber vielleicht muss
man Kistners Opus auch gar nicht bis zum Ende lesen – schon vorher wird man
angewidert abgefallen sein vom Glauben an zumindest einen Rest Gutes, das in
jenem Verband stecken könnte, jenem Verband, der sich zum Ziel gesetzt hat: „Das Spiel entwickeln, die Welt berühren und eine
bessere Zukunft gestalten“. Diesem FIFA-Fußball ist nicht mehr zu vertrauen,
nicht unter der jetzigen Führungsriege von Profiteuren, Hasardeuren, Vettern
und Günstlingen und ihrem In-die-eigene-Tasche-Wirtschaften. Das haben auch
andere Vereinsmeier und Verbandschefs durchaus erkannt; Karl-Heinz Rummenigges
Vergleich Blatters mit einem schwer zu fassenden Aal deutet darauf hin. Jedoch:
den Ungeist, den auch die Beckenbauers, Zwanzigers, Mayer-Vorfelders etc.
riefen, werden sie so schnell nicht mehr los.
Selbst wenn nur die
Hälfte dessen, was Kistner recherchiert, offenlegt und insinuiert sich als
richtig erweist, dürfte das für jeden Fußballfan genügen, um zu sagen: NO MORE!
Solange jedoch die Mehrheit der Fifamilienmitglieder prächtig vom Global
Multiplayer FIFA™ profitiert und prosperiert, die Turniere auf diesem Planeten
weiterhin von Millionen frequentiert und bezahlt werden, wird dieser Präsident
unbehelligt sonnenköniglich weiterregieren dürfen. Dass die Fans, die das
allerkleinste Rädchen in dieser Geldbeschaffungsmaschine drehen, daran etwa
durch Boykott etwas ändern können, ja überhaupt ändern wollen, ist zu
bezweifeln: Man/Fan fühlt sich alle zwei Jahre ja prächtig entertaint, siehe
Public Screening, public screaming, Fahnengeschwenke mit und ohne promilligem
Saurauslassen und staatlich erlaubtem bzw. gefördertem Nationalismus.
Kistners Buch ist
der Versuch einer Annäherung an den FIFA-Komplex; der bislang beste, den es gibt.
Wenn es nur irgend möglich wäre, sollte allen Fußball-Funktionären ein Exemplar
auf den Nachttisch gelegt werden – zur Zwangslektüre, auf dass vielleicht doch
noch die Hoffnung darauf sich erfüllt, dass der Fußball nicht mehr die
lukrativste Haupt-, sondern wieder die sportlichste Nebensache der Welt wird.
Und Kistner sieht gute Chancen auf „jede Menge Hoffnung: dass eine der vielen
Minen hochgehen wird im Monopolbetrieb Fifa“. Wir hoffen mit ihm. Und danken
ihm derweil dafür, selbst am Minenlegen so offensiv sich beteiligt zu haben.
Thomas Kistner:
FIFA MAFIA – Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball. München: Droemer
Verlag, 2012. Euro 19,99
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen