Sieger und Verlierer:
Ein paar Anmerkungen zum Champions-League-Finale
Das Champions-League-Finale 2021 ist Geschichte, und damit
auch das mit Spannung erwartete Trainerduell der beiden Herren, denen das
Verdienst zukommt, den Salzstreuer in den Fußballdiskurs eingebracht zu haben.
And the loser is:
Pep Guardiola, der damit unweigerlich eine weitere Debatte darum am Hals hat,
was er denn diesmal wohl wieder falsch gemacht hat. Eine Debatte, die
spätestens in dem Moment ihren Ausgang nahm, als die Aufstellung von Manchester
City bekannt wurde. Kein defensiver Mittelfeldspieler und vorne Raheem
Sterling, dem wohl keiner in dieser Saison Leistungen bescheinigt hätte, die
ihn zum Kandidaten für einen Platz in der ersten Elf gemacht hätten. Die Idee hinter
der extrem offensiven Ausrichtung war vermutlich, Chelsea von Anfang in die
Defensive zu drängen, um mit einem frühen Tor klare Verhältnisse zu schaffen
und Chelsea in Zugzwang zu bringen.
Es kam ganz anders. Allein Timo Werner hatte in den ersten
zehn Minuten zweimal die große Chance, seine Mannschaft in Führung zu bringen;
mindestens einmal hätte er treffen müssen. Die einzige Andeutung einer
Chelsea-Chance vereitelte Antonio Rüdiger mit einer gelungenen Grätsche;
Chelsea-Keeper Edouard Mendy verbrachte insgesamt einen ruhigen Abend. Und dann
die 42. Minute: Mason Mount sieht ein großes Loch in der Mitte, schickt einen
vorzüglich temperierten Pass genau durch dieses Loch auf Kai Havertz, der kommt
an Ederson vorbei und schiebt unbedrängt ein. (Und wäre ihm dies nicht
gelungen, so hätte Ederson die Rote Karte sehen müssen, denn er berührte
außerhalb des Strafraums den Ball mit der Hand.) Dass Mount diesen Pass spielen
konnte, verdankte sich auch einem Lauf von Timo Werner, der geschickt einen
Verteidiger aus der Mitte zog. Vor allem aber hätte in dem freien Raum bei
einer "normalen" City-Aufstellung mit großer Wahrscheinlichkeit ein
defensiver Mittelfeldspieler gestanden und die Lücke geschlossen. In der
zweiten Hälfte lief es etwas besser für City, doch es gelang der Mannschaft zu
keinem Zeitpunkt, ihr volles, nun wirklich nicht geringes Potenzial auf den
Platz zu bringen. Und zum Schluss musste man es dann sogar – auch dies
vergeblich – ganz un-Pep-like mit der Brechstange versuchen.
Okay, Pep Guardiola hat sich was ausgedacht, hat nicht
funktioniert, so was kommt vor; könnte man sagen und es dabei belassen. Wenn es
denn das erste Mal gewesen wäre, dass eine Guardiola-Mannschaft in
entscheidenden Spielen nicht ihre beste Leistung zeigt und dabei, allem
Anschein nach, das taktische Konzept eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hat.
Wenn dies in derartiger Form zu einem Muster wird, dann darf und sollte es auch
hinterfragt werden. Sicherlich haben in den vergangenen Jahren beim Scheitern
von Guardiolas Teams in der Champions League immer auch andere Dinge eine Rolle
gespielt: horrende Fehlleistungen von Spielern, unglückliche
Schiedsrichterentscheidungen und was immer sonst. Doch es bricht dem
Fußballfreund das Herz, wenn man sieht, wie ein brillanter Spieler wie Kevin De
Bruyne durch taktische Vorgaben darum gebracht wird, seine überragenden
Fähigkeiten zur Geltung zu bringen, gestern z.B. ebenso wie Ilkay Gündogan auf
einer meines Erachtens falschen Position. Klassisches Beispiel das Ausscheiden
in der Vorsaison gegen Olympique Lyon, als Guardiola gegen einen eindeutig
inferioren Gegner ein Taktik wählte, mit der seine Mannschaft kaum vertraut
war, anstatt auf die Stärken der Mannschaft zu setzen. Woher dieses Misstrauen
gegen das eigene Team?
Gestern abend gab es keine Ausreden. Fehlleistungen des
Schiedsrichters waren nicht zu konstatieren; Torchancen wurden nicht
leichtfertig vergeben (man hatte ja gar keine, ein Schuss auf das Tor, alleine
diese Statistik spricht Bände); von mangelndem Spielglück, wie das heute wohl
heißt, kann auch nicht die Rede sein; Chelsea war schlichtweg besser.
Unglücklich natürlich das Ausscheiden von Kevin De Bruyne nach einem
überzogenen Einsatz von Antonio Rüdiger, aber De Bruyne war bis dahin kaum zu
Geltung gekommen, und der überragende N'Golo Kanté hätte das wohl auch im
weiteren Spielverlauf nicht zugelassen.
To call a spade a
spade, wie der Engländer es formulieren würde: Pep Guardiolas Champions-League-Bilanz,
seitdem er den FC Barcelona verlassen hat, ist insgesamt erbärmlich. Er hat in
München den Titelverteidiger übernommen und ist dreimal im Halbfinale gegen
spanische Teams ausgeschieden. Das ist nicht natürlich keineswegs erbärmlich,
aber im einen oder anderen Jahr wäre wohl auch mehr drin gewesen. In Manchester
hat er inzwischen fünf Jahre Zeit und vor allem unermesslich viel Geld zur
Verfügung, eine Mannschaft zusammenzustellen, die in der Königsklasse
reüssieren kann, und da ist es dann schon dürftig, erst im fünften Jahr
erstmals über das Viertelfinale hinauszukommen.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen:
Selbstverständlich ist Pep Guardiola ein hervorragender Trainer – nie hat eine
Vereinsmannschaft besseren Fußball gespielt, als die von ihm betreute des FC
Barcelona in der Saison 2010/11. Manchester City hat 2020/21 eine überragende
Premier-League-Saison gespielt, insgesamt in den letzten vier Jahren dreimal
den Meistertitel geholt; das viele Geld war also nicht total verschwendet. Aber
du kannst z.B. in der NBA in der regulären Saison 65 von 82 Spielen gewinnen,
wenn du aber dann in den Play-Offs in der zweiten Runde ausscheidest, ist das
wenig wert; es gilt, dann zur Stelle sein, wenn es darauf ankommt. Der
Vergleich mag ein wenig schief sein, weil wir es im Fußball mit zwei
verschiedenen Wettbewerben zu tun haben, aber Manchester City unter Pep
Guardiola scheint in der Tat keine Play-Off-Mannschaft zu sein. Wenn wir uns
dennoch vor dem großen Trainer Guardiola verneigen, sollten wir aber vielleicht
auch im Hinterkopf behalten, dass dieser Mann sich für eine angeblich zweistellige
Millionensumme als eine Art Markenbotschafter für das Emirat Katar prostituiert
und dabei Sklaverei und Folter zumindest implizit gutheißt. (Bernd-M. Beyer und
Dietrich Schulze-Marmeling bringen es in ihrem Katar-Buch auf den Punkte:
"Der Mann, der sein katalanisches Volk von Madrid geknechtet sieht, sagte
allen Ernstes: 'Katar ist ein demokratisches Land, sonst hätte es die WM nicht
bekommen.'")
Katar ist das Stichwort, um klarzustellen, dass ich mich
jedes Jahr aufs Neue freue, wenn City in der Champions League nichts reißt,
nicht wegen Pep, sondern wegen der Eigentümerschaft. (Und wäre es dem Verein
nicht erlaubt gewesen, zwei der drei Richter im CAS-Verfahren selbst auszusuchen,
so wäre man in dieser Saison wegen der von der UEFA eigentlich mit Ausschluss
bestrafen Verstöße gegen das Financial Fairplay in der Champions League gar
nicht dabei gewesen.) Der diesjährige Wettbewerb hat es einem ja ohnehin schwer
gemacht, mit vier Halbfinalisten, die man dort allesamt nicht sehen möchte: PSG
aus gleichen Gründen wie Manchester City (wobei die Halbfinalqualifikation von
PSG auch aus rein sportlicher Sicht ein Witz war); Chelsea, weil der Verein
einem russischen Oligarchen gehört, den manche für einen Gangster halten; Real
Madrid, weil Florentino Pérez auch nicht wirklich ein Sympathieträger ist und
man als Verehrer des Cruyff'schen FC Barcelona und überzeugter Republikaner es
ohne nicht mit den Königlichen halten kann (wobei es mit der Zuneigung zu den
Katalanen auch schon mal leichter war).
Doch auch wenn man Chelsea eigentlich auch nicht ausstehen
kann, scheint es angebracht, an dieser Stelle Thomas Tuchel zu loben, der in
einem halben Jahr an der Stamford Bridge Bemerkenswertes vollbracht hat. Er
übernahm ein völlig verunsichertes Team, das auf Rang 9 der Premier League
vor sich hin dümpelte, und führte es – das war der Auftrag – als
Tabellenvierter in die Champions League. (Wobei man am letzten Spieltag
zugegebenermaßen auf Schützenhilfe der Spurs angewiesen war, andererseits mit
einem eigenen Sieg aber auch mit dem 3. Platz hätte abschließen können.) Nun
auch als Titelverteidiger für die Königsklasse qualifiziert zu sein, darf als
zusätzlicher und völlig unerwarteter Bonus gelten. Und während Guardiola sich sowohl
bei Bayern wie auch Manchester City quasi ins gemachte Nest setzen konnte,
musste Tuchel in kürzester Zeit mit einer Mannschaft zurechtkommen, auf deren
Zusammenstellung er keinerlei Einfluss hatte. Offenkundig hat er sich den Kader
genau angeschaut, ein umfassendes und wohlüberlegtes Reset vorgenommen und auf
diese Weise verschüttetes Potenzial zur Wirkung gebracht. (Ich habe noch am
Abend nach dem Spiel die Berichterstattung des englischen Guardian gelesen und mir auch einige der Kommentare zu den Artikeln
angeschaut. Dort danken zahlreiche Chelsea-Fans Frank Lampard, Tuchels
Vorgänger, der die Grundlage für diesen Erfolg gelegt habe. Ich glaube, da
lässt man dem guten Mann zuviel der Ehre zukommen.) Der Fußball, den Chelsea
unter Tuchel spielt, ist selten aufregend, aber man erkennt ein klares Konzept,
welches gewinnbringend umgesetzt wird. Und das Team hat einige hervorragende
Einzelspieler (unter denen auch Timo Werner sein könnte, wenn es ihm endlich
wieder gelingen würde, vor dem Tor die eigenen Beine zu sortieren). Natürlich
darf man darauf hinweisen, dass Chelsea im vergangenen Sommer mehr Geld für
Spieler ausgab, als jeder andere Verein. Dies relativiert sich allerdings
insofern, als der Club zuvor in drei Transferperioden nicht tätig werden
konnte, da er von der FIFA mit einem Bann wegen Verstößen gegen die
Transferregularien belegt worden war, und deshalb in jenem Sommer größere
Mittel zur Verfügung hatte, die zuvor nicht ausgegeben werden konnten. In
dieser Zeit hat Lampard sicher einige Nachwuchsspieler vorangebracht; aber
Grundlagen gelegt? Die Kaltstellung von Antonio Rüdiger z.B. war ein schwerer
Fehler; mit dessen Wiederbelebung dürfte Tuchel Joachim Löw einen großen
Gefallen getan haben. Ich bin gespannt auf die Innenverteidigung
Rüdiger-Hummels bei der EM. Es wird große Leistungen brauchen, um ein von
N'Golo Kanté angetriebenes Frankreich im Zaum zu halten.
Bleibt abzuwarten, ob Thomas Tuchel sein Werk bei Chelsea
wird weiterführen dürfen. Der bisher einzige Champions-League-Gewinn des Clubs
wurde ja 2012 mit der umgehenden Entlassung des Trainers gewürdigt.
Und zu guter Letzt müssen wir natürlich noch einmal auf Kai
Havertz zurückkommen, der sich mit einer sehr gutem Leistung und dem
Siegtreffer bei den Fans der Blues zur Legende gemacht haben dürfte. Legenden
haben es ja mitunter schwer; hoffen wir also, dass er nicht in einigen Jahren nach
Eindhoven wechseln muss, um die Karriere wieder in die Spur zu bringen.
Und nächstes Jahr? Wie wär's mit einem Finale zwischen Ajax
Amsterdam und Borussia Dortmund?