12. März 2016

Gespenstisch leise

Der Besitz einer Dauerkarte gilt als letztinstanzlicher Ausweis des Fanseins. Dabei ist es ohne Dauerkarte viel schöner.

Nehmen wir das gestrige 3:4 des FC St. Pauli, das der Unterzeichner in Vertretung und in Abwesenheit von Arne besuchte, seines Zeichens Besitzer einer Dauerkarte auf Lebenszeit, die ihn vor einigen Jahren, als es dem FC mal wieder richtig dreckig ging, als Ulrich H. seine Wampe ins braune Retter-Shirt presste wie sonst Schweinegeschreddertes in Naturdarm (oder war das früher, oder später? Es ging dem FC St. Pauli so oft so schlecht.), 1.910,00 Euro gekostet haben dürfte.

Der lila eingefärbte Abendhimmel über dem Hafen, das grelle, nie blendende Flutlicht, die lauten Glockenschläge, mit denen "Hells Bells" beginnt, der mit 5 Euro pro Flasche grotesk überteuerte Sommersby-Cider, der in einen Hartplastikbecher umgefüllt wird, auf dem sich ein Foto von André Schubert befindet, die entspannte Aufgeregtheit in den Gängen hinter der Tribüne, der heilige Ernst, mit dem die Männer (fast nur Männer) ihren vollen Bierbecher zum Mund führen, in  Vorabkonzentration auf das in fünf Minuten beginnende Spiel, in Gedanken wenden sich diese Männer vor dem Herauslaufen noch einmal an die Mannschaft, die in der Kabine vor ihnen sitzt, dann die beiden Teams, das des FC und das des SC Paderborn, vor dem Ewald Lienen zu Recht gewarnt hatte, wie sich zeigen sollte, die Ratschesuche, die Frage, ob er diesmal größer sein wird als sein Einlaufkind, der Gedanke, dass ein beim FC Barcelona spielender Ratsche innert weniger Wochen ein Mann für Löw wäre, die Eiseskälte, der Elfer Sobiechs, der vom hinteren Ende der Gegengerade zunächst aussah, als würde er weit über das Tor gehen, dann aber doch millimetergenau in den Torwinkel passte, der über den Abend immerhin dreimal angespielte "Song 2" von Blur, die fast klinisch reinen, schönen, vollkommen lautlosen Tore des SC Paderborn, Tore der Auswärtsmannschaft fallen immer gespenstisch leise, werden die Pässe, die zum Tor führen, doch nie von den kollektiven Aaaahs und Oooohs des großen Publikums begleitet, der schöne Name Hartherz, den man seit Werderzeiten nicht mehr gehört hatte ...

Will man das alles wirklich im Zweiwochenrhythmus haben, in dem die Erinnerung an ein solches Spektakel über- und überlagert wird von einem unsäglichen Nullnullgewürge, von einem mühsam ermauerten 1:0? Nein, dafür ist die Erinnerung zu kostbar, dafür ist das Vergessen zu wichtig, das erst ein neuerliches Erleben möglich macht. Nur fallen leider in den wenigsten Spielen sieben Tore - und Ratsche ist auch bald weg.

Gerald W.

15. November 2015

Les   jeux    sont   faits.



In Anbetracht der Anschläge in Paris gilt es fortan mit gespaltenem Herzen zu operieren:
   innehalten - denn das Mark wurde getroffen;
   weiter so - denn so sind wir nicht totzukriegen.
Das Fußballspiel an und für sich ist unschuldig. Einen Gegner zum Spiel wird es allerdings immer geben.

13. November 2015

Costas Fersen


Psychologisch nicht unkompliziert: Da befindet man sich im 32. Lebens- und siebten Bayernjahr, ist gerade noch Führungsspieler in, das muss man ihnen ja zugestehen, einer der besten Mannschaften der Welt – und merkt langsam aber sicher, wie man aufs Abstellgleis geschoben wird, um dann ab 2017 in Nijmegen vor 11.000 Zuschauern langsam die Karriere ausklingen zu lassen. Der Körper muckt, und mit 31 ist es ein anderes Mucken als mit 21, die Gewissheit zurückzukommen ist weg. In dieser Situation bringt einen der Trainer, und zwar nicht für 15 oder 20 Minuten, wie sonst zuletzt so oft, wenn es bereits 5:0 steht, sondern von Anfang an. Vom Spiel gegen Stuttgart ist die Rede und von Arjen Robben, formerly known as Sergej Jewgenjewitsch Aleinikov.

Das 1:0 gelingt ihm nach 11 Minuten mit der Brust, die Bayern dominieren nach Belieben, also alles wie immer, nur eben mit Robben. Zwei Mal in der zweiten Halbzeit schließt – … hier bitte ein beliebiges Synonym für Robben einfügen … – dann selbst Angriffe ab, anstatt zum deutlich besser stehenden und anschließend vollkommen zu Recht meckernden Lewandowski zu spielen, der, glaubt man der Boulevardpresse (was man nie tun sollte), immer schon schlecht auf Robben zu sprechen war. Guardiola sagt nach dem Spiel, auf die beiden Szenen angesprochen: „Ich bin ein guter Trainer, aber nicht gut genug, um die Mentalität von Arjen Robben mit seinen 31 Jahren zu verändern.“ Klingt nach einem Platzverweis, wird aber kein Platzverweis sein.  

Dass ein Robben, der nicht nur den Atem von Costa und Coman in seinem Nacken spürt, sondern seit ein paar Wochen gerade noch deren Fersen sieht, in einem solchen Spiel nicht nur zwei, sondern drei oder lieber noch fünf Tore schießen will, versteht sich von selbst und hat ihn dorthin gebracht, wo er sich noch befindet, in die fußballerische Weltspitze. Dass er, der aufgrund seines fragilen Körpers seit einem Jahrzehnt immer mit der Befürchtung aufläuft, das aktuelle Spiel könnte das letzte für Wochen, wenn nicht für Monate sein, im Angesicht des nahenden Karriereendes längst … nein, nicht abgelegte, vielleicht länger unterdrückte Verhaltensweisen wieder offenbart, stimmt den Schreiber dieser Zeilen ein wenig traurig, hat er – hier keine freie Synonymwahl – den Holländer doch im Laufe der letzten Jahre tatsächlich ein wenig … nein, lieb gewonnen geht deutlich zu weit, akzeptieren, wenn nicht gelegentlich sogar a’weng schätzen gelernt.

Fehlt noch ein Abschlusssatz. Es hätte der von Guardiola sein können, doch der wurde oben bereits verwurstet, womit keinesfalls der prominente Bayernknacki ins Spiel gebracht werden soll, denn der hat hier nichts zu suchen.

Vielleicht der hier: Möge Robben gesund bleiben und das Ende seiner Bayernzeit nicht auf der Bank erleben müssen. Oder der hier, Sie haben die Wahl: Jedem mannschaftsdienlicheren Spieler schauen wir tausend Mal lieber zu; und wir wüssten einige.