15. November 2015

Les   jeux    sont   faits.



In Anbetracht der Anschläge in Paris gilt es fortan mit gespaltenem Herzen zu operieren:
   innehalten - denn das Mark wurde getroffen;
   weiter so - denn so sind wir nicht totzukriegen.
Das Fußballspiel an und für sich ist unschuldig. Einen Gegner zum Spiel wird es allerdings immer geben.

13. November 2015

Costas Fersen


Psychologisch nicht unkompliziert: Da befindet man sich im 32. Lebens- und siebten Bayernjahr, ist gerade noch Führungsspieler in, das muss man ihnen ja zugestehen, einer der besten Mannschaften der Welt – und merkt langsam aber sicher, wie man aufs Abstellgleis geschoben wird, um dann ab 2017 in Nijmegen vor 11.000 Zuschauern langsam die Karriere ausklingen zu lassen. Der Körper muckt, und mit 31 ist es ein anderes Mucken als mit 21, die Gewissheit zurückzukommen ist weg. In dieser Situation bringt einen der Trainer, und zwar nicht für 15 oder 20 Minuten, wie sonst zuletzt so oft, wenn es bereits 5:0 steht, sondern von Anfang an. Vom Spiel gegen Stuttgart ist die Rede und von Arjen Robben, formerly known as Sergej Jewgenjewitsch Aleinikov.

Das 1:0 gelingt ihm nach 11 Minuten mit der Brust, die Bayern dominieren nach Belieben, also alles wie immer, nur eben mit Robben. Zwei Mal in der zweiten Halbzeit schließt – … hier bitte ein beliebiges Synonym für Robben einfügen … – dann selbst Angriffe ab, anstatt zum deutlich besser stehenden und anschließend vollkommen zu Recht meckernden Lewandowski zu spielen, der, glaubt man der Boulevardpresse (was man nie tun sollte), immer schon schlecht auf Robben zu sprechen war. Guardiola sagt nach dem Spiel, auf die beiden Szenen angesprochen: „Ich bin ein guter Trainer, aber nicht gut genug, um die Mentalität von Arjen Robben mit seinen 31 Jahren zu verändern.“ Klingt nach einem Platzverweis, wird aber kein Platzverweis sein.  

Dass ein Robben, der nicht nur den Atem von Costa und Coman in seinem Nacken spürt, sondern seit ein paar Wochen gerade noch deren Fersen sieht, in einem solchen Spiel nicht nur zwei, sondern drei oder lieber noch fünf Tore schießen will, versteht sich von selbst und hat ihn dorthin gebracht, wo er sich noch befindet, in die fußballerische Weltspitze. Dass er, der aufgrund seines fragilen Körpers seit einem Jahrzehnt immer mit der Befürchtung aufläuft, das aktuelle Spiel könnte das letzte für Wochen, wenn nicht für Monate sein, im Angesicht des nahenden Karriereendes längst … nein, nicht abgelegte, vielleicht länger unterdrückte Verhaltensweisen wieder offenbart, stimmt den Schreiber dieser Zeilen ein wenig traurig, hat er – hier keine freie Synonymwahl – den Holländer doch im Laufe der letzten Jahre tatsächlich ein wenig … nein, lieb gewonnen geht deutlich zu weit, akzeptieren, wenn nicht gelegentlich sogar a’weng schätzen gelernt.

Fehlt noch ein Abschlusssatz. Es hätte der von Guardiola sein können, doch der wurde oben bereits verwurstet, womit keinesfalls der prominente Bayernknacki ins Spiel gebracht werden soll, denn der hat hier nichts zu suchen.

Vielleicht der hier: Möge Robben gesund bleiben und das Ende seiner Bayernzeit nicht auf der Bank erleben müssen. Oder der hier, Sie haben die Wahl: Jedem mannschaftsdienlicheren Spieler schauen wir tausend Mal lieber zu; und wir wüssten einige.   

31. Oktober 2015

Vor der Riquelmefrage

"I came to this world with nothing, and leave with nothing but love. Everything else is just borrowed." (Mike Skinner, The Streets)


Schwierig, schwierig, schon die Hinführung zum Thema. Ausgangspunkt der alten, immer neuen Überlegung, wie ein Fußballprofi wohl aufzutreten habe, und zwar auf dem Platz, nicht betrunken im Ferrari, sei ein Satz des ARD-Kommentators Gerd Gottlob anlässlich der Deklassierung des VfL Wolfsburg durch den FC Bayern im DFB-Pokal, sofern der Pokal noch so heißt (mind you, VW hat gerade andere Probleme): "Thiago ... fast ein bisschen herablassend ... in der Anmutung ... sicherlich nicht so beabsichtigt."

Gottlobs Kommentar bezog sich nicht auf Thiagos zum Heulen schönen Heber auf Robben, der in eine überraschende Lücke an der Strafraumgrenze stieß und Thiagos Vorlage nach gelungener Ballannahme volley in den niedersächsischen Nachthimmel drosch, sondern auf einen vergleichbaren Geniestreich kurze Zeit früher oder später links an der Außenlinie, als er Alaba oder Costa in Szene setzte, man war nur noch mit einem Auge dabei.

"Sicherlich nicht so beabsichtigt" - das genau ist die Frage. Herablassung ist eine ausgesprochen unangenehme Charaktereigenschaft, ohne jeden Zweifel, auf dem Platz wie im Ferrari. Man muss gar nicht von „Geliehenem“ sprechen, man kann von einer Gabe sprechen, von einem Geschenk vielleicht, das in mühsamer und langjähriger Arbeit vergoldet wurde, und dann führt man eben im Pokalspiel beim Titelverteidiger mit ca. 8:0 und hat Freude am Fußball, am schönen Spiel, gleichzeitig merkt man, dass die Sache für den Gegner schon lange gelaufen ist – keine Entschuldigung für Herablassung, allenfalls ein Erklärungsversuch, ein schwacher.


Gottlobs erster Eindruck – da geht einer überheblich zu Werke, herablassend – deckt sich mit der Einschätzung des Chronisten, was diesem immer wieder ein wenig die Freude am Spiel Thiagos verdirbt, nicht aber e. g. die am Spiel Gündogans, der eine vergleichbare Genialität besitzt. Beide stehen immer wieder vor der Frage, die man guten Gewissens als Riquelmefrage bezeichnen kann: Ich bin besser als alle anderen, warum soll ich nicht etwas Besonderes versuchen, warum einfach, wenn es auch schwierig geht? Und genau dafür schauen wir uns schließlich die Spiele der Profis an, um mehr zu sehen als mittwochs beim eigenen Training, schönere Spielzüge, gewagtere Pässe.

Was nun kann ein Thiago machen, um weniger überheblich zu wirken? Sprachlich ist er – in Deutschland – gehandicapt, was ihn der Möglichkeiten eines Thomas Müller beraubt, der immer wieder im Gespräch (und durchaus glaubhaft) die eigene Genialität relativiert, die Flanke Costas sei halt perfekt gekommen, die Hereingabe Alabas habe man verwerten müssen, anders sei das gar nicht möglich gewesen. Kann Thiago seinen Gesichtsausdruck verändern? Nein, das ist die reine Konzentration, und die sieht bei jedem anders aus. Die Körperhaltung, die Beinstellung? Nein, gegen die eigene Physiognomie kann man sich nicht wehren, sie ist ein Produkt von Genetik, Ernährung, früheren Peer Groups und Training. Das Geschlackere mit dem Fuß, mit dem Bein, das dem dann gelegentlich genialen Pass vorausgeht? Ja, darauf könnte er verzichten, was allerdings nicht klug wäre, da ein Teil seines Spiels eben genau darauf beruht, den Gegner im Unwissen darüber zu lassen, wann genau das Abspiel denn nun kommen werde.

Es ehrt Gottlob, dass er durch die vierfache Abschwächung für den Angeklagten entschied: fast ... (es war nicht so, es wäre aber um ein Haar so gewesen), ein bisschen ... (wenn es denn so war, dann nun wirklich nicht viel), in der Anmutung ... (es mag so ausgesehen haben, war aber wohl anders), sicherlich nicht so beabsichtigt ... (okay, wenn es denn so wirkte, dann aus Versehen).

Schwierig, schwierig. Wir werden Thiago weiter beobachten müssen. Es gibt Schlimmeres.